Ein Überblick

Was bedeutet das neue Lieferkettengesetz für Unternehmen?

Eingestürzte Textilfabriken, verschmutzte Flüsse, Kinderarbeit. Lange basierte die Einhaltung sozialer und ökologischer Standards entlang der Lieferkette global agierender Unternehmen auf dem Freiwilligkeitsprinzip. Neue Lieferkettengesetze auf deutscher und europäischer Ebene sollen dies nun ändern. Was die Gesetze beinhalten und wie Unternehmen im Umgang mit dem neuen Gesetz zum Vorreiter werden können. Ein Überblick.

Bisher basierte die Einhaltung sozialer und ökologischer Standards bei Zulieferern global agierender Unternehmen auf dem Freiwilligkeitsprinzip. Dies führte aus Sicht von Expert:innen für Menschenrechte, Gesellschaft und Politik jedoch nicht zu ausreichenden Ergebnissen. Vor diesem Hintergrund schaffen die neuen Lieferkettengesetz einen rechtlichen Rahmen zum Schutz der Menschenrechte und Umwelt entlang globaler Lieferketten.

Historie, Status Quo & Ausblick

10. September 2019

Gründung der „Initiative
Lieferkettengesetz“

bestehend aus 63 Organisationen aus
den Bereichen Menschenrechte,
Umwelt, Kirche und Entwicklung.

10. September 2019
Dezember 2019

Monitoring der Bundesregierung

Deutsche Unternehmen fallen bei einem Monitoring der Bundesregierung durch. Nur 20 Prozent erfüllen
menschenrechtliche Vorgaben freiwillig.

Dezember 2019
Januar 2020

Forderungen nach einem
deutschen Lieferkettengesetz 

Sowohl aus dem gesellschaftlichen als auch politischen Bereich.

Januar 2020
Februar 2020

Gesetzlicher Rahmen

Rechtsexpert:innen entwickeln den gesetzlichen Rahmen für das deutsche Lieferkettengesetz.

Februar 2020
März 2020

Beginn der COVID-19-Pandemie

Das Bundeskanzleramt bremst das
deutsche Lieferkettengesetz mit Beginn der Corona-Pandemie vorläufig aus.

März 2020
Mai 2020

Ankündigung Entwurf EU-Lieferkettengesetz

EU-Kommissar Reynders kündigt den Entwurf eines EU-Lieferkettengesetz für 2021 an.

Mai 2020
September 2020

Proteste

Die „Initiative Lieferkettengesetz”
protestiert mit mehr als 222.222
Unterschriften am Bundeskanzleramt in Berlin.

September 2020
Januar 2021

Das deutsche Lieferkettengesetz

Am 27.01.2021 stimmt der
Rechtsausschuss des EU-Parlaments
mit großer Mehrheit für einen
„legislativen Initiativbericht”

Januar 2021
Februar 2021

Einigung im Bundestag

Der Bundestag einigt sich auf ein deutsches Lieferkettengesetz

Februar 2021
11. Juni 2021

Verabschiedung des Gesetzes

Der Bundestag verabschiedet mit großer Mehrheit das
deutsche Lieferkettengesetz.

11. Juni 2021
Februar 2022

Vorschlag der Europäischen Kommission

Vorstellung des Vorschlags eines
europäischen Lieferkettengesetzes.

Februar 2022
Januar 2023

Inkrafttreten

Seit 1. Januar 2023 ist das Lieferkettensorgfaltspflichtenschutzgesetz (LkSG) in Kraft getreten.

Januar 2023

Das europäische Lieferkettengesetz 

Am 10. März 2021 beschloss das Europäische Parlament den Gesetzesvorschlag „Legislativbericht über menschenrechtliche und umweltbezogene Sorgfaltspflichten von Unternehmen“. Der Vorschlag der Europäischen Kommission folgte am 23. Februar 2022. Über den Kommissionsentwurf wird im nächsten Schritt das Europäische Parlament und der Europäischen Rat beraten. Erfolgt die Erlassung eines europäischen Lieferkettengesetzes, sind die Regierungen der jeweiligen Länder dazu angehalten, diese in nationales Recht umzusetzen. Das hätte zur Folge, dass bereits existierende Lieferkettengesetze wie das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz oder das französische Loi de vigilance inhaltlich an die Richtlinie angepasst werden müssen. 

Das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) 

Am 11. Juni 2021 verabschiedete der Deutsche Bundestag das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG). Damit sind deutsche Unternehmen ab 3000 Mitarbeitenden zukünftig dazu verpflichtet, menschenrechtliche Risiken in ihrer Lieferkette zu analysieren, Präventions- und Abhilfemaßnahmen zu ergreifen, Beschwerdemöglichkeiten einzurichten, über diese Aktivitäten zu berichten und sich bei Nichteinhaltung vor den deutschen Gerichten zu verantworten. 

Das deutsche und europäische Lieferkettengesetz im Vergleich 

Beide Entwürfe zielen grundsätzlich darauf ab, dass Menschenrechte in der Wirtschaft eingehalten und globale Lieferketten transparenter dargestellt werden. Es bestehen jedoch wesentliche Unterschiede zwischen den beiden Ansätzen in Bezug auf Umfang, Anwendungsbereich und mögliche Konsequenzen für die verpflichteten Unternehmen. 

Anders als im deutschen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz vorgesehen fordert die EU-Kommission, dass alle EU-Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitenden und einem Umsatz von über 150 Millionen Euro ihre Vorprodukte prüfen. Für Unternehmen, die in bestimmten ressourcenintensiven Branchen wie der Textil-, Land-, Forst- und Fischereiwirtschaftsbranche oder in der Gewinnung von Bodenschätzen und Metallen tätig sind, liegt der Schwellenwert bei 250 Beschäftigten und einem Nettoumsatz von 40 Millionen Euro. Das Gesetz gelte nach gleichem Prinzip für in der EU tätige Unternehmen aus Drittstaaten, die einen entsprechenden Umsatz innerhalb der EU erwirtschaften. Dieser Vorschlag bezieht sich nicht nur auf die Unternehmen selbst, sondern gilt auch ihre Tochtergesellschaften und die Tätigkeiten von Zulieferern in der Wertschöpfungskette. 

Das deutsche LieferkettengesetzDas europäische Lieferkettengesetz
Geltungsbereich:
Ab 2023 zunächst für Unternehmen mit 3000 Beschäftigten; soll ab 2024 stufenweise auch auf Mittelständler ausgeweitet
Geltungsbereich:
Nach derzeitigem Stand (März 2022) gilt das Gesetz für Unternehmen mit mehr als 500. Beschäftigten und einem Umsatz von über 150 Mio. Euro. Der Schwellenwert ist niedriger (250 Beschäftigte und 40 Mio. Euro) für Unternehmen, die in den folgenden Sektoren tätig sind: Textilien (auch Gesamtverkauf), Land-, Forst-und Fischereiwirtschaft (und damit verbundene Lebensmittelproduktion und Großhandel); Gewinnung von Bodenschätzen und Metallen (einschließlich Handel). Die Richtlinie gilt auch für Nicht-EU-Unternehmen mit einem entsprechenden Umsatz in der EU (siehe Schwellenwert oben).
Verantwortungsbereich:
Abstufung nach Einflussmöglichkeiten. Mittelbare Zulieferer bis hin zum Rohstoffproduzenten sind nur dann von Menschenrechtsverletzungen auf dieser Ebene in Kenntnis gesetzt wird. Hier kommt es am Ende darauf an, welche Analysetiefe genau verlangt wird.
Verantwortungsbereich:
Unternehmen haben Verpflichtungen in Bezug auf ihre tatsächlichen und potenziell negativen Auswirkungen auf die Menschenrechte Bezug auf ihre eigenen Tätigkeiten, die Tätigkeiten ihrer Tochtergesellschaften und die Tätigkeiten in der Wertschöpfungskette, die von Unternehmen durchgeführt werden, mit denen das Unternehmen eine Geschäftsbeziehung unterhält.
Umfang:
Der Schutz der Umwelt ist im Gesetz erfasst, sobald Umweltrisiken zu Menschenrechtsverletzungen führen können und wird zusätzlich über zwei internationale Abkommen zum Schutz vor den Gesundheits- und Umweltgefahren durch Quecksilber und langlebige organische Schadstoffe eingebunden.
Umfang:
Der Vorschlag des Europäischen Parlaments zielt auf ökologische und soziale Bereiche ab, einschließlich fairer Löhne, sicherer Arbeitsbedingungen, Kinderrechte, Zwangsarbeit, Sklaverei und Umweltzerstörung mit Auswirkungen auf die natürlichen Ressourcen für die Nahrungsmittelproduktion, den Zugang zu sauberem Trinkwasser und die Abholzung von Wäldern.
Mögliche Konsequenzen:
Bußgelder, die sich auf etwa zehn Prozent ihres Umsatzes belaufen; bis zu drei Jahre Ausschluss von öffentlichen Ausschreibungen.
Mögliche Konsequenzen:
Je nach Zuständigkeitsbereich ist die zivilrechtliche Haftung auf direkte Lieferungen beschränkt.

Pro und Contra für Unternehmen 

Das europäische Lieferkettengesetz würde durch eine europaweite Harmonisierung der Sorgfalts- und Rechenschaftspflichten mehr Rechtssicherheit für Unternehmen schaffen. Damit würden im europäischen Wettbewerb Nachteile für Unternehmen entfallen, die durch bestehende nationale Lieferkettengesetze entstehen. Auch werden damit Wettbewerbsnachteile für Unternehmen abgebaut, die schon freiwillig in ein nachhaltiges Lieferkettenmanagement investieren. Jedoch ist es für global agierende Unternehmen mit stark fragmentierten Lieferketten eine enorme Herausforderung, Mängel entlang ihrer gesamten Lieferkette zu identifizieren. Um der unternehmerischen Sorgfaltspflicht nach dem deutschen Lieferkettengesetz gerecht zu werden sowie sich auf die kommende EU-Richtlinie vorzubereiten, benötigen Unternehmen daher einen ganzheitlichen Überblick über ihre sozialen und ökologischen Auswirkungen. So können sie gezielte Maßnahmen ableiten, die zudem dazu beitragen, den Anforderungen verschiedener Stakeholder wie Verbraucher:innen, Investor:innen oder NGOs gerecht zu werden. 

In dem WifOR-Working Paper im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung „Soziale Standards in globalen Wertschöpfungsstrukturen“ erhalten Sie erstmals Einblicke in die WifOR-Methodik zur Analyse globaler Lieferketten und die sozialen Indikatoren entlang der globalen Wertschöpfungsketten ausgewählter deutscher Unternehmen und Branchen. Das Paper können Sie hier kostenfrei herunterladen:

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Soziale Standards in globalen Wertschöpfungsstrukturen

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