Health Technology Assessment (HTA)
HTA

Der Wert von Gesundheitsinnovationen

Der Social-Impact-Ansatz als Ergänzung traditioneller HTAs

Social-Impact-Analysen messen den gesellschaftlichen Mehrwert von Gesundheitsinnovationen. Damit bieten sie eine ergänzende Perspektive zu traditionellen Gesundheitstechnologiebewertungen (HTAs) – über den therapeutischen Nutzen und die direkten medizinischen Kosten hinaus.

Im Mittelpunkt der Bewertung von neuen Gesundheitstechnologien stehen derzeit folgende Fragen:

  • Welchen Mehrwert bietet ein neues Medikament im Vergleich zu bereits etablierten Präparaten?
  • Wie wirksam ist es im Kampf gegen eine Erkrankung?
  • Wie hoch ist die erwartete Steigerung der Lebensqualität?

In diesem Artikel erklären wir die Bedeutung von traditionellen HTAs und wie das Social-Impact-Modell von WifOR bestehende Ansätze erweitert. 

Definition Gesundheitstechnologiebewertung (HTA) 

Laut WHO ist die Gesundheitstechnologiebewertung (Health Technology Assessment, HTA) ein multidisziplinärer Prozess zur Bewertung des Nutzens von Gesundheitsinnovationen und zur Festlegung internationaler Richtlinien. Mithilfe eines systematischen Ansatzes werden die sozialen, wirtschaftlichen, organisatorischen und ethischen Aspekte einer Gesundheitsintervention bewertet. Dazu zählen beispielsweise Arzneimittel, chirurgische Verfahren oder gesundheitspolitische Maßnahmen.

Internationale Unterschiede bei HTAs 

Eine von Hofmann et al. (2021) durchgeführte Studie untersuchte die verschiedenen Ansätze zur Bewertung von Gesundheitstechnologien in Kanada, Japan, Australien sowie acht Ländern Europas. Die Analyse zeigt, dass der therapeutische Nutzen eines Arzneimittels zwar in der Regel im Mittelpunkt einer Bewertung steht, dass weltweit jedoch je nach länderspezifischen Regelungen unterschiedliche Herangehensweisen genutzt werden. 

Beispielsweise gelten in Deutschland Mortalität, Morbidität und Lebensqualität sowie Behandlungszufriedenheit als Bewertungsgrundlagen für Gesundheitstechnologien. England bezieht zudem auch soziale Aspekte mit ein, wie etwa die Verringerung gesundheitlicher Ungleichheiten innerhalb der Bevölkerung.

Um diese Inkonsistenzen in der Bewertung zu vermeiden, legt die neue EU-HTA-Verordnung 2021 ab Januar 2025 einheitliche Richtlinien zur Bewertung von Gesundheitstechnologien fest. Die Verordnung umfasst: 

  • die Definition von Standards 
  • die Verbesserung des Zugangs zu innovativen Therapien in Europa  
  • die Reduzierung administrativer Belastungen  
  • die Implementierung von Methoden für spezielle Therapien  

Das Ziel: Gesundheitstechnologien in Zukunft länderübergreifend effizient und qualitativ hochwertig zu bewerten und doppelte Analysen zu vermeiden. 

Wozu dienen HTA-Berichte?

HTA-Berichte zeigen die wissenschaftlichen Erkenntnisse und Ergebnisse der Gesundheitstechnologiebewertung – präsentiert in einem Format, das auf Entscheidungsträger:innen zugeschnitten ist

Informierte Entscheidungen

Das primäre Ziel von HTAs besteht darin, Entscheidungsträger:innen im Gesundheitswesen, der Politik sowie Krankenversicherungen eine Grundlage für fundierte Entscheidungen über die Einführung, Nutzung und Erstattung von Gesundheitstechnologien zu bieten. 

Zuweisung von Ressourcen

Angesichts begrenzter Ressourcen im Gesundheitswesen müssen jene Gesundheitstechnologien priorisiert werden, die das beste Kosten-Nutzen-Verhältnis bieten. HTAs helfen bei der Optimierung der Ressourcenzuweisung, indem sie die Kosteneffizienz von Interventionen analysieren. 

Patient:innenorientierte Pflege

Durch die Konzentration auf die Ergebnisse und Erfahrungen der Patient:innen stellen HTAs sicher, dass die Entscheidungen im Gesundheitswesen in Einklang mit dem Ziel einer qualitativ hochwertigen, patient:innenzentrierten Versorgung stehen. 

Kontinuierliche Verbesserung

Die Dynamik der Gesundheitsversorgung erfordert eine ständige Bewertung und Anpassung. HTAs bieten einen Rahmen für die kontinuierliche Bewertung und Verbesserung, um Innovationen sowie Effizienz bei der Bereitstellung von Gesundheitsleistungen zu fördern. 

Der Social-Impact-Ansatz von WifOR

Klassische HTAs konzentrieren sich in erster Linie auf den gesundheitlichen Nutzen von Arzneimitteln. Sie berücksichtigen die potenziellen therapeutischen Kosten und die Auswirkungen auf die von Patient:innen gemeldeten Ergebnisse, klinische Endpunkte und die Veränderung der Krankheitslast. Allerdings plädieren Akteur:innen des Gesundheitswesens zunehmend dafür, eine inklusivere, breitere Perspektive einzunehmen, um den ganzheitlichen Nutzen von medizinischen Innovationen abbilden zu können. 

Diese ergänzende Perspektive bietet der Social-Impact-Ansatz von WifOR. Er quantifiziert die sozioökonomischen Auswirkungen von Interventionen auf Wirtschaft und Gesellschaft. Ausgehend von krankheitsbezogenen Gesundheitsergebnissen bewertet der Social Impact die Verbesserungen der Gesundheit und Lebensqualität von Patient:innen durch eine bestimmte Behandlung. Anschließend wird der gesundheitliche Nutzen in Produktivitätspotenziale basierend auf länderspezifischen ökonomischen Profilen umgerechnet, die bezahlte und unbezahlte Arbeitstätigkeiten berücksichtigen. Diese werden sowohl in Arbeitsstunden als auch in monetären Werten ermittelt. 

Zum Beispiel ermöglicht eine Verbesserung des Gesundheitszustandes eine schnellere Rückkehr der Patient:innen an den Arbeitsplatz. Darüber hinaus können sie unbezahlte Tätigkeiten ausüben, wie beispielsweise die Betreuung von Kindern, die Pflege von Angehörigen, Hausarbeiten oder Tätigkeiten in gemeinnützigen Organisationen. Zudem kann die Verbesserung des Gesundheitszustandes von Patient:innen pflegende Angehörige entlasten, die dadurch mehr Zeit für eigene Aktivitäten gewinnen. Damit misst der Social Impact den sozioökonomischen Mehrwert medizinischer Innovationen, aus dem sich die gesellschaftliche Bedeutung einer Gesundheitsmaßnahme ableiten lässt. Diese Ergebnisse bieten eine Bewertung von Gesundheitstechnologien, die über die Kostenwirksamkeit hinausgeht.

Assessing the Value of Medicines Beyond Patients' Health Benefit

Assessing the Value of Medicines Beyond Patients’ Health Benefit

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Assessing the Value of Medicines Beyond Patients' Health Benefit

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Beispielstudie: Der Social Impact von frühen Intensivbehandlungen von Diabetes

Ein Beispiel für die Anwendung des Social-Impact-Ansatzes ist eine Studie von Tsotra et al. (2022). Diese Studie untersucht den Social Impact einer frühen Intensivbehandlung bei erwachsenen Patient:innen mit neu diagnostiziertem Typ-2-Diabetes mellitus im Vergleich zu einer initialen Monotherapie mit anschließender Behandlungsintensivierung in Mexiko. 

Methode

Im ersten Schritt der Analyse werden die gesundheitlichen Effekte der beiden Behandlungsoptionen verglichen. Dabei wird ermittelt, wie viele Komplikationen, die im Zusammenhang mit Typ-2-Diabetes mellitus stehen, über einen Zeithorizont von zehn Jahren mithilfe der Gesundheitsmaßnahme vermieden werden können. Zu diesen Komplikationen gehören Herzinfarkt, Schlaganfall, Nephropathie und Herzinsuffizienz. 

Im zweiten Schritt werden die vermiedenen Gesundheitsereignisse in Produktivitätsstunden umgerechnet, sowohl in Bezug auf bezahlte als auch unbezahlte Arbeit. Diese Berechnung zielt darauf ab, herauszufinden, wie stark die Erkrankung die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Patient:innen beeinflusst.

Schließlich werden diese Produktivitätsstunden in Geldwerte umgerechnet, basierend auf den Durchschnittslöhnen für bezahlte und den Mindestlöhnen für unbezahlte Arbeit in einem Land.

Ergebnisse

Die Studie zeigt, den gesundheitlichen und wirtschaftlichen Wert einer frühen Intensivbehandlung bei erwachsenen Patient:innen mit neu diagnostiziertem Typ-2-Diabetes mellitus. So entstanden im Vergleich zu einer initialen Monotherapie mit anschließender Behandlungsintensivierung insgesamt 13.000 weniger Komplikationen über einen Zeitraum von zehn Jahren. Dies entspricht einem Social Impact von 53,5 Mio. US-Dollar (44,4 Mio. in bezahlter und 9,1 Mio. in unbezahlter Arbeit). 

Diese nachgewiesenen langfristigen Auswirkungen von Gesundheitsmaßnahmen als standardisiertes Maß in monetärer Form dienen als evidenzbasierte Grundlage für Entscheidungen, um die Patient:innenversorgung zu verbessern und den Zugang zu effektiven Gesundheitsmaßnahmen zu ermöglichen.   

Zusammenfassung

Der Social-Impact-Ansatz von WifOR ergänzt traditionelle HTAs, indem er neben dem medizinischen Nutzen auch sozioökonomische Faktoren einbezieht. Social-Impact-Analysen zeigen anhand konkreter Zahlen, dass Gesundheitstechnologien nicht nur den Gesundheitszustand von Patient:innen verbessern, sondern auch die Produktivität und soziale Teilhabe von ihnen und ihren Angehörigen steigern können.

Die Verknüpfung traditioneller HTAs mit dem Social-Impact-Ansatz ermöglicht Entscheidungsträger:innen, sowohl die medizinische Wirksamkeit als auch die breiteren gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Auswirkungen von Gesundheitstechnologien in der Bewertung zu berücksichtigen. Diese Herangehensweise unterstützt einen Paradigmenwechsel im Gesundheitswesen – weg von einer reinen Kostenbetrachtung hin zur Wertschätzung des Gesamtwertes der Versorgung für die Gesellschaft.