Fallstudie kardiovaskuläre Erkrankungen

Die sozioökonomische Krankheitslast

20,5 Millionen Todesfälle, 500 Millionen Krankheitsfälle pro Jahr: kardiovaskuläre Erkrankungen sind weltweit die Todesursache Nummer eins. Neben schwerwiegenden Beeinträchtigungen der Lebensqualität vieler Menschen sind auch die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Folgen von Herz-Kreislauf-Erkrankungen enorm. Dieser Artikel erklärt am Beispiel kardiovaskulärer Erkrankungen, wie WifOR die sozioökonomische Krankheitslast misst – anhand einer Fallstudie für Deutschland.

Die Forschung von WifOR zur sozioökonomischen Krankheitslast kardiovaskulärer Erkrankungen zeigt, dass präventive Gesundheitsinvestitionen das Potenzial haben die Gesundheit der Bevölkerung effektiv zu verbessern, die Produktivität zu steigern und die Gesellschaft widerstandsfähiger machen können. Ohne solche Maßnahmen ist nach derzeitigen Prognosen mit einer steigenden Belastung zu rechnen.

Die Ziele der Studien zur sozioökonomischen Krankheitslast:

  • Messung des Ausmaßes, in dem eine bestimmte Krankheit die Gesundheit von Patient:innen belastet.
  • Bereitstellung evidenzbasierter Forschungsergebnisse, die als Leitfaden für gezielte Investitionen und zur Sensibilisierung für bestehende Lücken in der Gesundheitsversorgung genutzt werden können.
  • Unternehmen und andere Organisationen in die Lage zu versetzen, einen Beitrag zur Verbesserung der Gesundheitssysteme zu leisten und damit die Ziele für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen zu unterstützen.

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Die sozioökonomische Krankheitslast kardiovaskulärer Erkrankungen

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Was ist die sozioökonomische Krankheitslast?

Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind für fast ein Drittel aller Todesfälle weltweit verantwortlich. Für überlebende Personen können Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu dauerhaften Einschränkungen wie Atemnot, Müdigkeit und Schmerzen führen. Zudem erfordern Herz-Kreislauf-Erkrankungen häufig eine lebenslange Behandlung.

Neben den starken körperlichen Folgen geht die Belastung der Patient:innen mit enormen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Auswirkungen einher. Die mangelnde oder eingeschränkte Fähigkeit einer bezahlten Arbeit nachzugehen führt zu einer geringeren Produktivität der Gesellschaft. Diese Belastung ist jedoch nicht auf bezahlte Tätigkeiten beschränkt, sondern betrifft auch die unbezahlte Arbeit wie die Pflege von Angehörigen, Haushaltsführung oder ehrenamtliche Tätigkeiten – die Grundlagen einer funktionierenden Gesellschaft.

Wie wird die sozioökonomische Krankheitslast gemessen?

Herz-Kreislauf-Erkrankungen können zu schwerwiegenden Komplikationen wie Schlaganfall, Herzinfarkt oder Herzversagen führen. Viele dieser Fälle treten vorzeitig auf und sind vermeidbar. Neben genetischen und umweltbedingten Faktoren ist der Lebensstil ein entscheidender Faktor. Zu den gängigen Verhaltensdeterminanten gehören Ernährung, körperliche Bewegung sowie Alkohol- und Tabakkonsum.

Zur Berechnung der sozioökonomischen Krankheitslast wendet WifOR eine mehrstufige Methodik an. Im ersten Schritt wird die gesundheitliche Belastung für den Einzelnen ermittelt, anschließend die gesellschaftliche Bedeutung identifiziert und abschließend rechnet WifOR die Werte in Bruttowertschöpfungsverlust um.

Gesundheitliche Belastung

Die gesundheitliche Krankheitslast durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen wird anhand von Schlüsselindikatoren gemessen: Sterblichkeit, stationäre Krankenhausaufenthalte und Rehabilitationsfälle. Anhand dieser Indikatoren wird die Belastung durch die in der medizinischen Versorgung (Krankenhaus oder Rehabilitation) verbrachte Zeit sowie die verlorenen Lebensjahre – aufgeschlüsselt nach Alter und Geschlecht – quantifiziert. Die Daten basieren auf amtlichen Statistiken aus der nationalen Gesundheitsberichterstattung wie beispielsweise des Statistischen Bundesamtes.

Gesundheitliche Belastung

Um die Belastung für die Gesellschaft zu messen, verknüpft WifOR die gesundheitlichen Folgen (Zeit in der medizinischen Versorgung, vorzeitige Todesfälle) mit den gesellschaftlichen Auswirkungen. Die gesundheitliche Belastung durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen führt zu Produktivitätsverlusten, die bezahlte und unbezahlte Arbeit betreffen. Diese Verluste entsprechen den Arbeitsstunden, die aufgrund von Abwesenheit und nicht ausgeschöpftem Produktivitätspotenzial entfallen. Sowohl bezahlte als auch unbezahlte Arbeit sind wesentliche Bestandteile des gesellschaftlichen Wohlstands.

Wirtschaftliche Belastung

Die Quantifizierung der wirtschaftlichen Belastung ist der letzte Schritt. WifOR misst die Produktivitätsverluste auf der Grundlage der entgangenen Arbeitsleistung bzw. des Wertes der verlorenen Zeit einen monetären Wert bei. Der durchschnittliche Bruttolohn wird auf die in der bezahlten Arbeit verlorenen Stunden angewandt, während die unbezahlte Arbeit in den Bruttolohn umgerechnet wird, der im am ehesten vergleichbaren Sektor gezahlt wird.

Sozioökonomische Krankheitslast
Sozioökonomische Krankheitslast

Fallstudie: die Krankheitslast kardiovaskulärer Erkrankungen in Deutschland

WifOR untersuchte in einer Studie die Belastung durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen im Jahr 2019 in Deutschland. Zehn ausgewählte atherosklerotische Herz-Kreislauf-Erkrankungen (ASCVD) wurden bewertet, um die gesundheitliche, gesellschaftliche und wirtschaftliche Belastung zu ermitteln. 

Zentrale Ergebnisse:

  • Die gesundheitliche Belastung durch atherosklerotische Herz-Kreislauf-Erkrankungen in Deutschland (2019) belief sich auf 1,1 Millionen stationäre Krankenhausaufenthalte und 175.000 Rehabilitationen, mit insgesamt 12,7 Millionen Pflegetagen. Zusätzlich führten fast 160.000 Todesfälle zu 1,6 Millionen verlorenen Lebensjahren.
  • Die gesellschaftliche und wirtschaftliche Belastung machte 55 Millionen Stunden (1,1 Milliarden Euro) bzw. 1,9 Milliarden Stunden (23,4 Milliarden Euro) an bezahlter und unbezahlter Arbeit aus. Über 90 % der sozioökonomischen Belastung entstand durch unbezahlte Tätigkeiten.
  • Gesundheitsmaßnahmen, die auf Prävention abzielen, haben das Potenzial, die Belastung durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen in Deutschland wirksam zu verringern.

Wie kann die Belastung durch kardiovaskuläre Erkrankungen verringert werden?

Um die Belastungen durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu verringern, bedarf es eines Paradigmenwechsels in der Wahrnehmung. Gesundheit sollte nicht länger als Kostenfaktor betrachtet werden, sondern vielmehr als eine Investition in die Widerstandsfähigkeit und den Wohlstand der Gesellschaft. Die Anerkennung der Bedeutung von Präventionsmaßnahmen – sowohl für die Gesundheit der Patient:innen als auch für das gesellschaftliche Wohlergehen – ist ein entscheidender Schritt für die Gesellschaft.

Die World Heart Federation fordert zentrale Maßnahmen zur Beschleunigung der Bemühungen zur Bekämpfung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Zu diesen Empfehlungen gehören die Erhöhung der gesundheitlichen Chancengleichheit durch einen verbesserten Zugang zur Gesundheitsversorgung, die Verbesserung der Datenerhebung über Risikofaktoren und evidenzbasierte Gesundheitsinvestitionen, die auf wirksame Präventionsstrategien abzielen. Zudem sind die Bewusstseinsbildung durch Informationskampagnen, z. B. im Rahmen von Initiativen zur öffentlichen Gesundheit und die Förderung eines gesunden Lebensstils wesentliche Faktoren für die Vorbeugung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen und für den Beitrag zur weltweiten Verringerung der nicht übertragbaren Krankheiten (SDG 3.4).

Ausblick: Wie wird sich die sozioökonomische Krankheitslast durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen in Zukunft entwickeln?

Ohne wirksame Gesundheitsmaßnahmen wird die Krankheitslast durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen in Zukunft weiter ansteigen. Die alternde Bevölkerung, die potenziellen mittel- bis langfristigen Folgen der Covid-19-Pandemie und die Zunahme von Risikofaktoren, wie zum Beispiel Bewegungsmangel werden wahrscheinlich die künftige Krankheitslast bestimmen.

Studien zeigen, dass sich die sozioökonomische Belastung durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen in Ländern mit niedrigem, mittlerem und hohem Einkommen weiter erhöhen wird. Die Minderung der zukünftigen Belastung durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen muss deshalb zur Priorität werden – sowohl in der Politik als auch in der Wirtschaft. Eine ganzheitliche Zusammenarbeit zwischen Expert:innen des Gesundheitswesens, politischen Entscheidungsträger:innen, Kommunen und Einzelpersonen ist für die Entwicklung gezielter Strategien unerlässlich. Investitionen in diese Strategien sind jedoch von entscheidender Bedeutung, um ihren Erfolg zu gewährleisten und letztlich ein gesundes Leben sowie die Voraussetzungen für eine florierende Gesellschaft und Wirtschaft zu schaffen.